Das System des Oktoechos (acht Stimmen = acht Modi), bei den Armeniern outh tzayn genannt, unterteilt sich in der Praxis in zwei unterschiedliche Zweige: den liturgischen und den musikalischen. Die beiden Zweige funktionieren oft unabhängig voneinander. Die Klassifizierung und Bezeichnung des musikalischen Oktoechos sieht folgendermaßen aus:
Die armenischen Initialen stellen die Bezeichnung jedes einzelnen Modus dar, den man in allen liturgischen Büchern findet, seien diese musikalisch oder nicht. Handschriften, in Neumenschrift Gedrucktes, sowie Sammlungen in moderner, armenischer Musikschrift benutzen dieselben Initialen.
Obwohl sie eine Unterteilung des Oktoechos einführen, die vergleichbar ist mit der byzantinischen und lateinischen und die zwischen “authentisch” und “plagal” unterscheidet, fügen die Begriffe “Stimme” und “Seite” jedoch keine strukurelle Verbindung der Modi untereinander hinzu.
Das liturgische Oktoecho bezieht sich mittels der Bezeichnung Modus des Tages auf den Kalender. Es handelt sich darum jedem Tag des Jahres einen der acht Modi des Oktoechos zuzuordnen und sich dabei an das oben präsentierte Darstellungsmodell zu halten.
Im Laufe des Stundengebets wird eine bestimmte Anzahl von Elementen gemäß dem Tagesmodus ausgewählt. Diese Auswahl betrifft vor allem die Lesung der Evangelien, das Halleluja, Litaneien, Gebete und Kollekten, manche Psalmen und die Scharagan.
Mit dem Ostertag beginnt der Zyklus und der Tagesmodus ist obligatorisch erste Stimme. Deshalb ist am ersten Sonntag der Fastenzeit der Tagesmodus Vierte Seite, ungeachtet des Modus des Vortages. Von diesem Tag an ändert sich der Modus täglich in derselben Reihenfolge, so dass am ersten Ostertag erste Stimme Tagesmodus wird. So kommt es, dass manche Festtage, die sich in einem fixen Abstand zu Ostern befinden immer denselben Tagesmodus haben. Die anderen Festtage können jedes Jahr einen wechselnden Modus annehmen und diejenigen Elemente, deren Auswahl vom Tagesmodus abhängt, werden mit Rücksicht auf diese Regelmäßigkeit und das Tagesthema ausgewählt.
Am ersten Fastensonntag, wenn der Tagesmodus Vierte Seite wird, werden die Vier Stimmen einerseits und die vier Seiten andererseits jeweils einem Chor zugeordnet, genannt adchagoghmean tas (rechterer Chor, auf der Nordseite) und tzakhagoghmean tas (linker Chor, auf der Südseite). Diese Disposition alterniert am ersten Fastensonntag des folgenden Jahres und bestimmt das ganze Jahr lang den Chor, dem dieses oder jenes Element des Offiziums oder der Anfang eines Scharagan zugeordnet ist. Die Auswahl der Scharagan betreffend, funktioniert der Tagesmodus nur in bestimmten Fällen, viele Feiertage haben ihren festen Scharagankanon, der in einem bestimmten musikalischen Modus gehalten ist.
Das musikalische Oktoecho umschließt das Modalsystem und wird auf einen Grossteil des Repertoires der armenischen Kirchenmusik, nämlich die Scharagan. angewandt. Abgesehen von diesem Repertoire, bezieht sich das musikalische Oktoecho ausschließlich auf die Psalmen des nächtlichen Stundengebets, die ganonakloukh genannt werden (Kanonskopf).
Die in der armenischen Kirchenmusik angewandten Modi beschränken sich nicht auf die des musikalischen Oktoechos. Abgesehen von den Scharagan, benutzen die anderen Gesänge Modi, die anders als die des Oktoechos organisiert sind und die im Armenischen keine eigenständigen Namen haben.
In der derzeitgen Klassifizierung besitzen alle Modi des armenischen Oktoecho einen oder mehrere tartzwadzk‘, Modi, die man vorläufig als Nebenmodi bezeichnen kann und die immer nach dem Hauptmodus benannt werden. In Büchern, die Neumenschrift benutzen, kann man sie visuell am Gebrauch gewisser Neumen unterscheiden. In der modernen Notierung sind sie umso leichter zu erkennen, als die Zeichen bestimmten Stufen entsprechen.
In fast allen Modi findet man melismatische Scharagan wieder, deren Melodietypen und manchmal auch die benutzten Intervalle sich von den Haupt- und Nebenmodi unterscheiden; einige dieser Scharagan sind als Abweichungen bekannt, andere tragen die Bezeichnung sdeghi.
Es gibt keine strukturelle Beziehung zwischen Haupt- und Nebenmodi oder den anderen Unterteilungen. In manchen Fällen ist eine Affinität der benutzten Modulationen zu den Modi der osmanischen Musik auszumachen. Derzeit scheinen diese Modi konventionell in einem symbolischen System des Oktoechos eingeteilt zu sein. Daher hat jeder der acht Modi den Charakter einer “Modalfamilie” und nicht den eines einzelnen bestimmten Modus. Nur eine eingehende Analyse des Repertoires kann jedoch diese Aussage bestätigen.
Aram Kerovpyan
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Page mise à jour le 13-12-2013.
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chant modal arménien