Die Scharagan machen die Substanz des musikalischen Systems des armenischen liturgischen Gesangs aus. Das sogenannte Buch der Scharagan oder mit seinem modernen Namen Scharagnots (wörtlich: Scharagan beinhaltend) gruppiert sich um ein zyklisches Repertoire, beginnend mit der Geburt (in diese Welt und ins Leiden) der “Theotokos” (der Gottesgebärerin) und endet mit der “Dormition” (Mariä Entschlafung und Himmelfahrt, Geburt zum Himmel und zum Ruhm). Hier gibt es für fast alle Feier- oder Gedenktage des Kirchenkalenders in einem besonderen Kanon zusammengefasste Gesänge. Das Tempo eines Scharagan kann seiner Funktion entsprechend variieren, was eine Modifikation der Melodie durch Ausdehnung oder Komprimierung zur Folge haben kann. Mehr als 1 300 Scharagan verschiedener Länge sind im Buch der Scharagan in seiner heutigen Form zusammengefasst. Jeder gehört einem bestimmten Kanon an, einige jedoch können auch innerhalb eines anderen Kanons oder innerhalb anderer Rituale als dem der Messe gesungen werden.
Die Entstehung der Scharagan ist und bleibt die umstrittenste Frage des gesamten armenischen Kirchengesangs. Armenische Historiografen schweigen sich bis zum 12. Jahrhundert über deren Herkunft aus. Ab dem 13. Jahrhundert werden Autorenlisten erstellt, die offenbar von dem Gründungsprozess einer schriftlichen Tradition zeugen. Traditionell werden dem heiligen Mesrob (dem Schöpfer des armenischen Alphabets) und Sahag, dem damaligen Katholikos die Schaffung der ersten Scharagan zugeschrieben.
Die große Mehrheit dieser Gesänge ist in Prosa gehalten, durchweg in einem kodifizierten klassischem Armenisch geschrieben, was die Möglichkeit der Datierung jedes einzelnen Gesangs erheblich beeinträchtigt. Die Scharagan des Heiligen Nerses Schnorhali bilden sehr wahrscheinlich die Ausnahme, da man sie an ihrer Sprache und an ihrem spezifischen Stil erkennt. Jeder Vers des Scharagan besteht aus einem einzigen literarischen Satz. Die Scharagan umfassen häufig drei Verse, manchmal jedoch auch vier, fünf oder mehr. Einige Scharagan zählen 36 Verse, wobei die Buchstaben des armenischen Alphabets der Reihe nach das Anfangswort der Verse bilden. Eine Reihe von Gesängen sind Akrostichen und verraten so den Namen des Autors.
Aram Kerovpyan
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Page mise à jour le 13-12-2013.
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